I N H A L T
• Das Denkmal
• Ein Kommentar zur Inschrift
• Die Geschichte
• Der Findling
• Die Bergung
• Die Anlage
• Die Einweihung
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Hörnum, Kreis Nordfriesland
Auf der südlichen Spitze der Insel Sylt
In Hörnum weist ein Schild »Kriegsgräberstätte« den Weg: Das Kriegerdenkmal für die Toten beider Weltkriege steht in einer kleinen Anlage im »Grünen Tal«. Architekt Tadsen, selbst Kriegsteilnehmer an der Ostfront, hat sie gestaltet, am 13. November 1966 ist sie eingeweiht worden.

Ein tiefergelegtes rechteckiges Areal mit Bänken ist seitlich umschlossen von einer Feldsteinmauer. An der Stirnseite erreicht man über zwei abgerundete breite Stufen eine entgegengesetzt abgerundete Ziegelmauer. Der ovale Platz ist mit unterschiedlich geformten Steinplatten gepflastert. An der Mauer sind vier Steintafeln mit den Namen der Toten angebracht.

Hinter der Mauer, auf Bodenhöhe, steht ein 12 Tonnen schwerer heller Findling mit der Inschrift in schwarz:
Den Tagesbefehlen nicht,
Dem unbekannten Appell
Gehorchend, löstet das
Leben Ihr ein
1914 – 1918 (Eisernes Kreuz) 1939 – 1945
Gott allein kennt euch alle
Darüber ist ein christliches Kreuz graviert, der Spitze des Steins angepasst. Der Findling wurde 1966 am Wenningstedter Strand geborgen und unter größten Anstrengungen von vielen freiwilligen Helfern und der Bundeswehr in den Süden der Insel transportiert.

Auf den vier Tafeln werden 36 Namen genannt, mit Geburts- und Sterbedatum. Auch der Sterbeort und die Todesumstände werden aufgeführt. Die in Kriegshandlungen getöteten Soldaten erhielten als Ehrenzeichen ein Eisernes Kreuz vor ihr Sterbedatum, auf der Flucht Gestorbene ein einfaches christliches Kreuz. Die Vermerke »verm.« (= vermisst, fünf Namen) und »verschleppt« (zwei Namen) ersetzen ein wie immer geartetes Kreuz.

Zwei Soldaten sind im 1. Weltkrieg, einer in Verdun, der andere in Rußland getötet worden. Damals bestand Hörnum nur aus wenigen Häusern. Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatte Hörnum dann etwa 30 Einwohner. Die anderen Soldaten, die auf dem Stein genannt werden, waren vor ihrem Kriegseinsatz auf Hörnum stationiert. Willi Lund, am 14. August 1945 im Feldlazarett Auschwitz gestorben, betrieb vor dem Krieg eine Bäckerei. Er ist der einzige »echte Hörnumer« auf den Tafeln.
In Hörnum und List waren vor und im 2. Weltkrieg viele hundert Soldaten stationiert, etwa 1000 alleine in List. Die Soldaten sollten den »Westwall« verteidigen, den die Organisation Todt (OT), ein paramilitärischer Bautrupp, mit Bunkern und Verteidigungsanlagen von der gesamten deutsch-französischen Grenze bis Jütland errichtet hatte. Sylt war zur Festung gegen England ausgebaut worden.
Wikipedia, Organisation Todt

Alle Fotos von Joachim Weiß
Wir zeigen hier zwei von den insgesamt vier Namenstafeln.
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Ein Kommentar zur Inschrift
Wir baten Prof. Dr. Loretana de Libero, Historisches Institut an der Universität Potsdam und tätig an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, Fakultät Politik, Strategie und Gesellschaftswissenschaften um eine Interpretation der für uns rätselhaften Inschrift. Ihre Antwort:
»Zwar hatte die Bundeswehr sich vor allem in ihren Anfangsjahren sehr um das Gefallenengedenken mit Bezug auf die Weltkriege bemüht, das lag an den vielen ehemaligen Wehrmachtssoldaten in der jungen Armee, doch ist die Inschrift sicher nicht auf die Bundeswehr oder das damals auf Sylt stationierte Bataillon zurückzuführen.
Der Wortlaut klingt m.E. eher nach dem Hörnumer Gemeindepfarrer (vgl. auch die selbstbewuste Versicherung: ›Gott allein kennt euch alle‹, so etwa auch von der brandenburgischen Kirchengemeinde Liebenwalde, Gedenkbuch für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges, Nachwendezeit, dort Volltext; auch in El Alamein; und zudem noch auf dem Hörnumer Gedenkstein das hohe Kreuz über der Inschrift).
Der ›unbekannte Appell‹ bezieht sich hier doch wohl auf Gott, wobei sehr eigenwillig verneint wird, dass die toten Soldaten keinen Tagesbefehlen (eben von Menschen) gehorcht hätten. Natürlich haben sie dieses getan. Ausgedrückt werden soll wohl, dass die Soldaten sich freiwillig für das Vaterland – aus eigenem, inneren Antrieb heraus (Patriotismus, Gewissen, Moral, Glaube etc.) – geopfert hätten, und ihnen dies nicht befohlen zu werden brauchte.«
Loretana de Libero ist Verfasserin des Buches: »Rache und Triumph, Krieg Gefühle und Gedenken in der Moderne«, De Gruyter Oldenbourg. Beiträge zur Militärgeschichte. Band 73.
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Die Geschichte
»Das Ehrenmal wurde am Volkstrauertag, dem 13. November 1966, im ›Grünen Tal‹ unter Beisein eines Ehrenzuges des Marine-Sanitäts-Bataillons 901 in Hörnum sowie des Hörnumer Gemeindepfarrers und Standortgeistlichen eingeweiht. Es ist in freiwilliger Arbeit von Hörnumer Bürgern, Soldaten des Mar.-San. Bataillons 901 und mit einem Hilfseinsatz der Freiwilligen Ortsfeuerwehr errichtet worden.
Eine Haus- und Spendensammlung trug zur Deckung unumgänglicher Unkosten bei. Der Westerländer Architekt – selbst ehemaliger Soldat in Rußland – gab seine Dienste ohne Entgelt.«
• Berichte und Mitteilungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel, Nr. 7/1971, S. 164/5
Im Archiv der Gemeinde Hörnum gibt es eine Notiz, dass die Gestaltung des »Ehrenhains« 1967 jetzt abgeschlossen werden konnte. Weiter gibt es einen Rechnungsbeleg von 1969, dass die »Buchstaben« für zwei weitere Namen bezahlt wurden.
Diese Informationen bekamen wir von Silke von Bremen, Autorin, Heimatforscherin und Gästeführerin auf Sylt. Herzlichen Dank!
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Der Findling
Schulleiter Kuno Ehlfeldt war der Initiator für die Errichtung des Denkmals. Er war Vorsitzender des Arbeitsausschusses »Ehrenmal Hörnum« und der Ortsgruppe des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Zusammen mit Jürgen Ehmsen, Pastor der Hörnumer Kirche St. Thomas und Standortgeistlicher der Bundeswehr auf Sylt nahm er die Aufgabe in Angriff.

Hier erkundet Kuno Ehlfeldt den riesigen Findling, der 1966 am Wenningstedter Strand nur 25 cm herausragte.

Im Flutbereich arbeitete sich der Findling höher. Kuno Ehlfeldt prüft mit dem »Lehmann« seine Verwendbarkeit.

Kuno Ehlfeldt hatte im 2. Weltkrieg an der Ostfront gekämpft. Pastor Ehmsen beschreibt ihn im Jahr 2018 als Nationalisten, aber er sei kein »NS-Mann«, er sei Ernst Jünger-Anhänger mit »Vaterlandsdenken« gewesen. Ehlfeldt wurde 1912 geboren, er starb 1977 mit 65 Jahren.
»Zäh praktizierter Idealismus«, so überschrieb Kuno Ehlfeldt die erste Geschichte über die Entstehung des Kriegerdenkmals für Hörnum 21 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs. Die Ehrung der toten Soldaten lag ihm am Herzen, das kann man aus jeder Zeile lesen, die er in enthusiastischen Berichten über das Kriegerdenkmal im Sylter Tageblatt veröffentlicht hat.
Sylter Tageblatt, 19. Mai 1966
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Die Bergung
Im Mai 1966 begann die Bergung. Beteiligt waren Soldaten des Hörnumer Stadortbataillons, eine große Planierraupe, die Hörnumer Feuerwehr samt Motorpumpe, der 34-t-Kranwagen des Flugplatzes Westerland, der Lastzug einer Baufirma und zwei Hörnumer Bataillon-Lastkraftwagen mit je 9-t-Seilzugwinden.

Schulleiter Kuno Ehlfeldt schreibt: »Es gab kritische Momente, Augenblicke, in denen man drauf und dran war, aufzugeben. Stimmen begannen sich zu mehren, die die Arbeit sinnlos schalten. Die gefährlichen Untiefen der Verzagtheit konnten überwunden werden. Der Glaube hat einen Steinberg versetzt. Aber nicht der Glaube allein. Begeistert draufgängerisches Zupacken, das sich an der Naturkraft zu messen suchte, [...] allem voran aber der Einsatz der Soldaten bei der Arbeit am Stein unter dem kameradschaftlichen Vorbild seines unermüdlichen Führers kamen dem Glauben zu Hilfe.«

Die Kette der Winde wird heruntergelassen.

Der Stein wird die 30 Meter hohe Steilküste am Wenningstedter Kliff hinaufgezogen ...

... und zum Transport nach Hörnum zu einem Kranwagen geschleppt.
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Die Anlage
Kuno Ehlfeldt beschreibt im Sylter Tageblatt am 25. Mai 1966 die Ankunft des Findlings in Hörnum: »Das friedliche Bild [...] wurde jäh unterbrochen durch das feldgraue Ungetüm eines 35 Tonnen schweren Kranwagens, der vom Hafen her den Straßenverkehr warnungblitzend durchschnitt und sich – angeführt von dem Kommandowagen des Chefs der 1. Kompanie des Standortbataillons – vorsichtig über den Heideboden ins Tal hinabrollte. Feldmarschmäßig ausgerüstete LKW waren gefolgt. Zwei zivile Hörnumer »Kadetten« umflitzten den Konvoi bald hier, bald da – und ein grauer, inselhauptstädtischer Mercedes mit einem Architekten und seinem »Leibadjutanten« tastete sich hinzu. [...] Endstation Ehrenmal, ein Zeichen, aufgerichtet für Kämpfen und Sterben in zwei Kriegen, die Weltkriege heißen.«
Sylter Tageblatt, 25. Mai 1966

Der Findling wird auf ein vorbereitetes Fundament herabgelassen. Danach begann die Gestaltung der Anlage.

Schulleiter Ehlfeldt, rechts, wie immer aktiv dabei das »Grüne Tälchen« umzugestalten.

Auch der Hörnumer Bürgermeister Sepp Springer, im Foto mit Krawatte, läßt sich vor Ort die Aktion beschreiben.

Freude nach getaner Arbeit: Schulleiter Ehlfeldt mit seinem »Lehmann« in der Mitte.
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Die Einweihung
Vor der Einweihung, die am Volkstrauertag stattfinden sollte, startete Kuno Ehlfeldt noch eine Spendenaktion unter dem Motto: »Wir waren eins in der Liebe zur Heimat und haben ihr alles gegeben, Bruder – wie klein ist Dein Streit«.
Die Einwände einiger Bürger, wieso man nach so langer Zeit noch ein »Ehrenmal« errichten wolle, beantwortete er dabei mit: »21 Jahre sind – gemessen an der Selbstverleugnung und dem Opfermut, dem Blut und den Tränen jener Jahre – eine kurze Zeit.«
Der Stein sei Mahnung: »Er ist aber auch Anruf. Ist stummer Händedruck mit dem Kameraden, der damals neben Dir fiel, – gleich ob an der Front des Glaubens an Deutschland oder an der bitteren Front des inneren Widerstandes.«
Das Mal, das »für unsere Zeit ein Bekenntnis zum gemeinsamen geschichtlichen Schicksal unseres Volkes und unserer Nation ist in Glück und Unglück, – in Glanz und Erniedrigung.«
Spendenaufruf am 25. August 1966 im Sylter Tageblatt

Einweihung am Volkstrauertag, 13. November 1966. Im Oval vor den Namenstafeln stehen von rechts nach links: der Standortälteste des Sanitätsbataillons 901 Oberstabsapotheker Danker (mit Redemanuskript), ein Matrose, in zivil: Pastor Jürgen Ehmsen und Kuno Ehlfeldt.
Am 18. November erschien dann im Sylter Tageblatt ein Bericht
»Ich hatt’ einen Kameraden« wurde intoniert als die Hülle fiel, unter leisem Trommelwirbel wurden die Namen verlesen. Die trotz aller Beteuerungen, alle Opfer des Krieges seien gemeint, die Namen toter Soldaten sind. Bürgermeister Springer nahm das »Ehrenmal« in seine Obhut und dankte der evangelischen Kirche, dass »sie bis heute der Totenehrung einen Platz gewährt habe.«
Pastor Ehmsen suchte in seiner Weihepredigt Antwort auf die Frage: »Was ist der Mensch, der in einen solchen mörderischen Strudel der Geschichte gerät und darin scheinbar sinnlos untergeht? [...] Wo ist der Sinn? Die Bibel weiß die Antwort: Gott ist in allem, auch in dem, was uns Unheil scheint, auch in menschlicher Schuld, die immer wieder Unheil zeugt.«

Die Denkmalsanlage in Hörnum im »Grünen Tälchen« kurz nach der Fertigstellung. 1974 setzte sich Kuno Ehlfeldt für ein anderes Hörnumer Projekt ein: für das erste Zentrum der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt. Später erhielt die Schutzstation, die ehemalige »Norweger-Kirche«, den Namen Kuno-Ehlfeldt-Haus.
Zum Volkstrauertag 1976 schrieb Kuno Ehlfeldt für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Ortsgemeinschaft Hörnum an seine Mitstreiter:
Sehr geehrte Herren, vor nun 10 Jahren wehten im »Grünen Tal« die Fahnen unseres Landes zum ersten Mal auf halbmast, hatten wir uns aus eigener Kraft eine Gedenkstätte geschaffen, mit der wir uns – im Zeichen ungeheueren menschlichen Leids – mit unserem Volk und seinem geschichtlichen Schicksal sichtbar verbanden.
Wie hätte es auch anders sein können? [...] Major Kosin wird am Ehrenmal nach der Kranzniederlegung eine Gedenktafel für die Gefallenen des 2. Weltkrieges im Sanitätsdienst einweihen und sie in seinen Dienstgebäuden der Traditionstafel des 1. Weltkrieges hinzufügen. [...]
Ist es verwunderlich, wenn ich Ihnen heute für die große Selbstverständlichkeit danken möchte, mit der wir uns in einer Zeit der Diskussion und Selbstbezweifelung ein Jahrzehnt am Volkstrauertag zusammenfanden?«
Brief von Kuno Ehlfeldt vom 6. November 1976
Wir danken Pastor Jürgen Ehmsen für seine ausführliche Dokumentation. Er lebt jetzt, auch nach 20 Jahren »Ruhestand« immer noch sehr aktiv, in Kiel.
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